„Ich bin einfach irre stolz“

Willkommen zur Gartenschau: Wie „Tagesschau“-Moderatorin Judith Rakers von einer überzeugten Stadtpflanze zur Selbstversorgerin wurde – eine Spurensuche zwischen Beet und Stall

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Rakers mit Spaten
Gräfe und Unzer Verlag / Sebastian Fuchs
Judith Rakers ist unter die Gärtner:innen gegangen und teilt ihren Garten mit Pferd und Hühnern

Wenn man Judith Rakers zuhört, bekommt man den Eindruck, als wäre Gärtnern die einfachste Sache der Welt. Ein paar Samen ins Töpfchen werfen, Sprösslinge zu Pflanzen heranwachsen lassen, in den Garten damit, ernten, glücklich sein. Aus neun von zehn Samen sei etwas geworden, schon im ersten Jahr, erzählt sie am Telefon, die Tonlage irgendwo zwischen Stolz, Begeisterung und ein bisschen Ungläubigkeit.

Viele Hobbygärtner:innen, die schon zu Beginn der Gartensaison dem Nervenzusammenbruch nahe sind, weil einfach keine grünen Köpfe aus der Erde lugen wollen, weil die Schnecken hungrig sind und die Pflanzen schwach, mögen jetzt aufschreien: reine Illusion! Sie fühlen sich vom Garten, etymologisch ironischerweise von „Gerte“, einer Haselnuss- oder Weidenrute, abgeleitet, regelmäßig gegeißelt. Dabei, und hier können wir eine große Erkenntnis vorwegnehmen, macht sich Rakers zwei ebenso wichtige wie simple Dinge zu eigen. Erstens: Viel (ausprobieren) hilft viel. Und zweitens: Pflanzen wollen nun mal wachsen, die sind so.

Zu Beginn muss man sich einfach mal was zutrauen und die erste Hürde überwinden

Wie Rakers gärtnert, hätten sich bis vor kurzer Zeit wohl nur wenige gefragt. Für viele ist sie die ernste Frau, die im Blazer die Nachrichten verliest und Talkshows moderiert. Doch in einem der wohl wichtigsten Gartenjahre der jüngeren Zeit, 2020, hat die „Tagesschau“-Sprecherin einen Ratgeber für ebenjene geschrieben. Unzählige Menschen hat es im ersten Pandemiejahr hinausgetrieben – und sei es auf den Balkon. Nicht nur damit der Wind die Aerosole wegpustet, nein, viele brauchten eine Aufgabe. In der kühlen Erde wühlen, bis die Fingernagelränder schwarz waren und die Muskeln schmerzten.

Säen, gießen, zupfen, warten, wundern. Und dann, als man nach dem ersten Jahr mittelmäßig gescheitert war, hat Rakers in diesem Frühjahr „Homefarming“ veröffentlicht, ein Buch, das so herrlich pragmatisch ist, dass man sie als Gartenrookie gerne dafür umarmen würde. Geht natürlich nicht, Abstand und Contenance. Das ist ihr auch für ihren Garten wichtig: Niemand darf rein. Und so wandeln wir in Gedanken und am Telefon durch Rakers’ gut 4000 Quadratmeter Grün. Von den Gemüsebeeten hin zu den Hochbeeten, zum Gewächshaus, zu den Himbeersträuchern, wo sie sich die Beeren für ihr Müsli pflückt.

Gräfe und Unzer Verlag

„Der Garten hat viele Interessenten bei der Besichtigung abgeschreckt“, erzählt sie. Als sie vor drei Jahren ein kleines Fachwerkhaus am Stadtrand Hamburgs entdeckte, stand es schon einige Zeit zum Verkauf. Wo andere fürchteten, über stundenlangem Rasenmähen und Strauchschnitt den Überblick zu verlieren, sah Rakers: Platz für ihre Stute, die nun tageweise in ihrem Garten wohnt. Und, ja, warum eigentlich nicht Gemüse anbauen? Heute hat sie die Hälfte der Fläche in einen Nutzgarten verwandelt, Pferdeweide und geräumiges Hühnergehege mit eingerechnet. Hühner hält sie nämlich auch, acht derzeit, und diese, laut Züchter ohne großes Interesse am Brüten, fingen wenige Monate nach der Ankunft eben damit an. Seit die Hennen da seien, habe Rakers kein Ei mehr gekauft, sagt sie.

Gräfe und Unzer Verlag / Sebastian Fuchs
Der Garten hält Rakers das ganze Jahr über beschäftigt: mal mit der Anzucht im Topf, mal mit der Ernte

Dies wird keine Geschichte des Scheiterns mehr, so viel sei vorweggenommen, aber lernen können Gartennoviz:innen trotzdem etwas. Zum Beispiel, dass man mit Gemüse anfangen sollte, das eine garantierte Ernte verspricht, Radieschen etwa oder Salat. „Bei mir hat früher nicht einmal die Basilikumtopfpflanze aus dem Supermarkt überlebt“, sagt Rakers. Erfolge hingegen sind der Dünger der Gärtnerin. Dazu las Rakers allerhand Ratgeber, notierte sich, welche Pflanzen gut miteinander können und welche weniger. Dann säte sie einfach drauflos, in zwei kleinen Beeten, je einmal zwei Meter, und zwei Hochbeeten. Das Einzige, was sie in dieser Zeit überforderte, war die anfängerunfreundliche Gartensprache, dieses Anbaulatein: pikieren, mulchen, pinzieren. „Und die Tomaten sind nichts geworden im ersten Jahr, die haben vom Regen Braunfäule bekommen“, sagt sie fast begeistert, um zu zeigen, dass selbst ihr nicht alles gelungen ist. Fürs Folgejahr baute Rakers mit ihrem Vater deshalb ein weitläufiges Gewächshaus. Die Tomaten und Gurken gediehen fortan fototauglich. Ob sie sich mal ausgerechnet habe, wie viel so eine Tomate koste, wenn man die Kosten dieses Hauses umlege, habe der Vater sie anfangs gefragt. Doch Rakers ließ sich nicht beirren. Sie karrte Anhänger voll Erde für ihre Hochbeete an und bewahrte jeden Pferdeapfel auf, um ihn als Dünger zu kompostieren. Sie ließ ihren Hühnern einen riesigen Stall bauen und las alles über die Hühnerhaltung, von der Impfung bis zur optimalen Einstreu.

Gräfe und Unzer Verlag / Sebastian Fuchs
… und sonntags auch mal zwei: Judith Rakers hat acht Hühner, die sie regelmäßig mit Frühstückseiern versorgen

Heute hebt sie jeden Tag den Mist aus, damit es nicht riecht. Ist sie eine Perfektionistin im Garten? „Das ist so ein negativ konnotierter Begriff“, sagt sie, das wirke so angestrengt. „Ich bin perfektionistisch, ohne angestrengt zu sein. Wenn etwas funktioniert, gehe ich gerne direkt den nächsten Schritt.“ Bei ihr finde man durchaus auch Unkraut im Beet. Und manchmal sei sie eben zehn Tage lang für die Arbeit verreist. Dann muss der Garten allein klarkommen. Sie kam ja auch lange ohne Garten klar.

Gärtnern habe lange keine Rolle gespielt, nicht einmal das Verarbeiten von Gemüse, erzählt Rakers. Dosenravioli und der Lieferservice waren damals ihre kulinarischen Gefährten, sie hat mitten in Hamburg in einer Altbauwohnung gewohnt, selbst als Kind kannte sie kein Gemüseziehen. Sie wuchs bei ihrem Vater auf, lernte schon früh Handwerken, Autofahren und Schießen, vom Opa. Zugleich begann sie zu reiten, kaufte sich schließlich ihr Pferd und springt heute am liebsten im Gelände ohne Sattel über Baumstämme. „Irgendwann hab ich mich gefragt: Warum hole ich die Natur nicht in meinen Alltag?“ Der Rest ist Haussuche und Geschichte, eine, die fast schon zu märchenhaft klingt.

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Was war das Wichtigste auf dem Weg zur Selbstversorgerin? „Ich glaube, zu Beginn muss man sich einfach mal was zutrauen und die erste Hürde überwinden.“ Vielleicht ist es auch diese beinahe rührende Begeisterung, die man Rakers sofort anmerkt. „Es ist ein großes Glücksgefühl, im Garten zu sein“, hat sie festgestellt. Weil sie etwas mit den Händen tut, die Früchte der Arbeit riecht, schmeckt und sieht. Wenn sie im Beet kniet, vergisst sie stundenlang, auf ihr Handy zu schauen. Abends falle sie müde ins Bett und habe trotzdem viel mehr Energie als früher, sagt sie. Abgebrochene Fingernägel feilt sie zurecht und lackiert sie mit dunkelrotem Lack über – muss ja keiner die Erdränder sehen, wenn sie die Nachrichten liest.

Auf der Liege auf ihrer neuen Holzterrasse direkt am Haus hat sie noch kein einziges Mal gelegen. Stattdessen wird Kohlrabi gegrillt und Sirup eingekocht. Der Garten gebe ihr eine große Freiheit, sagt Rakers: nicht gehetzt in den Supermarkt laufen vor der Spätschicht, sondern ernten, wenn man etwas braucht. Die kürzeste Lieferkette der Welt. Doch auch die Moderatorin ist nicht gegen alte Gewohnheiten gefeit: Als im Winter nichts mehr im Beet auf sie wartete, habe sie wieder den Lieferdienst bemüht. Und so hat sie, wie alle Gärtner:innen, den Sommer herbeigesehnt. Jeder Keimling, der sich tapfer durch die Erde zum Licht bohrt, mache sie einfach irre stolz, immer noch. „Ein bisschen komisch, weil ich ja gar nichts getan habe, sondern die Natur.“ Dem frohlockenden Gärtnerinnenherz ist dies aber ziemlich egal.

Gemüse macht Glücklich

Judith Rakers, 45, hat über ihr Leben als werdende Hobby-Farmerin ein Buch geschrieben: „Homefarming: Selbstversorgung ohne grünen Daumen“ (Gräfe und Unzer, 22 €)

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