Nass und nah

Es gibt wenige Plätze, an denen wir alle ziemlich gleich sind. Freibäder gehören dazu – ebenso die Bahn. Eine Würdigung

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Getty Images/Thomas Barwick

Da sitzt man nun, ohne Kleid oder Hemd, Handtuch an Handtuch, Wassermelone knabbernd. Was im Büro oder Restaurant unvorstellbar wäre, ist im Freibad möglich: Menschen, die sich nah sind und meist bloß ein Stück Stoff als Distinktionsmerkmal am Körper tragen. Keine angesagten Turnschuhe oder T-Shirts, keine Uniformen, einfach nur Menschen in Badekleidung, die den gleichen Eintrittspreis zahlen, auf der gleichen Wiese liegen, ins gleiche Wasser hüpfen. Menschen, die sich an wenigen anderen Orten so nah sind und gleichzeitig ihrer Wege gehen.

Und wir können sie so verstehen. Freibäder sind magische Orte. Dieser Geruch aus Pommesfett und Chlor in der Luft, hellblau das Wasser und dunkelgrün die Bäume. Kreischende Kinder, lachende Erwachsene, während die Sonne warm vom Himmel scheint und hinter den Zäunen des Bades die Stadt so geschäftig ist wie immer.
Freibäder, so sagt man, sind Mikrokosmen der Demokratie, Soziotope von Menschen, die in diesem Moment eine große Gemeinsamkeit eint: der Wunsch nach kühlem Nass, nach Ablenkung und ein bisschen Spaß. Das beschrieb schon einst der Schriftsteller Max Frisch, der als gelernter Architekt selbst mal ein Schwimmbad in Zürich baute:

Sonniges Wetter und viel Volk. Sie schwimmen, springen von den Türmen. Die Rasen sind voll von Menschen, halb nackt und halb bunt, und es ist etwas wie ein wirkliches Fest.

Max Frisch

Würde man Freibad-Typen umschreiben, klänge das wohl so: Da gibt es die älteren Damen mit Badehauben, die unter den Bäumen ihre Dosen mit Kartoffelsalat auspacken und dann gemächlich hoch erhobener Kappe ihre Bahnen ziehen. Die Jugendlichen, die ihre Chipstüten auf der Decke kreisen lassen und eine Arschbombe vom Dreimeterbrett machen. Die sich kabbeln und schubsen, wenn die Hormone gerade wieder verrückt spielen. Die Hobbyschwimmerinnen in sportlichen Badeanzügen, die auf Zeit kraulen, ständig der Blick auf die Pulsuhr. Die Großfamilien mit Großbuffet auf bunten Decken. Und Menschen, die von Sonnenöl glänzend ihre braunen Körper auf der Wiese weiter bräunen.

Wir leben zunehmend ein Leben, in dem wir uns selten aus unseren eigenen Kreisen herausbewegen. Wir wohnen in homogenen Vierteln, arbeiten aus dem Homeoffice heraus, treffen Freund:innen. Zufällige Begegnungen mit anderen Menschen aus der Stadt sind seltener geworden. Und da kommt das Freibad ins Spiel. „Ein Freibad ist eben einer der wenigen öffentlichen Räume, wo Menschen, die einander fremd sind, sich begegnen und miteinander ein Verhältnis finden müssen“, sagt der Soziologe Albert Scherr in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Es gibt Baderegeln und Bademeister:innen. Aber alles andere müssen Menschen in Kontakt miteinander klären.  
Irgendwie eine schöne Vorstellung, Freibäder als Orte des Lernens für ein gutes Zusammenleben. Schwimmen und verhandeln, sonnen und beobachten. Und Konflikte gehören zum Zusammenleben in einer Gesellschaft unbedingt dazu, findet auch der Soziologe Scherr. „Man muss die Unterschiedlichkeit schon aushalten können“, sagt er.

Wenn man überlegt, wo man einen ähnlich bunten Mikrokosmos im Alltag vorfindet, landet man unweigerlich an einem Ort, der so gar nichts mit Planschen und Sonne zu tun hat, sondern eher mit Sitzen, Essen, Familienzeit, Podcast hören und kontemplativ aus dem Fenster sehen: der Bahn. Natürlich gibt es dort die Fraktion: Reisetasche auf den Nachbarsitzplatz und hoffen, dass sich bloß niemand neben einen setzt. Die Pandemie hat uns dieses Gefühl des Abstands zu Unbekannten weiter auftrainiert. Wenn wir nun aber Nähe zulassen, lernen wir tatsächlich auch vieles. Unter anderem, dass die Bahn ein relativ anarchischer Ort ist, an dem wir ständig irgendetwas aushandeln, mit anderen Reisenden, aber auch mit uns selbst. Das Vor- und Zurückkommen in den Gängen zum Beispiel, das manchmal einem Umeinandertänzeln ähnelt. Den Eiodeur des Nachbarbrotes oder auch das Ignorieren lauter Handygespräche. Hierzu las ich kürzlich ein sehr passendes Zitat:

Geräusche und Gerüche sind sozusagen der Preis der Lebendigkeit und des sozialen Miteinanders.

Psychologe Stephan Grünwald

Und deshalb soll dieser Text auch ein kleines Plädoyer sein, all diese Geräusche, Gerüche und Anblicke aufzusaugen, die das soziale Miteinander ausmachen, im Freibad, im Supermarkt oder eben in der Bahn. Menschen nicht durch den Filter der sozialen Medien zu betrachten, sondern live und in Farbe, mit Dellen und Ecken und Eigenheiten. Spüren, was andere glücklich macht und wie man Vorurteile mal Vorurteile sein lässt und sich einfach einlässt auf das Dicht an Dicht mit Fremden . Wenn dabei noch die Sonne auf den Bauch oder zumindest durchs Fenster scheint und der Snackvorrat groß ist, kann es wenig Besseres geben.

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