Lang lebe dieser Kuchen

In Nürnberg kreuzten sich große Handelswege, im Mittelalter galten seltene Gewürze als Zahlungsmittel. Von diesem Reichtum zehrt die Menschheit noch heute: in Form der Lebkuchen, die hier köstlicher sind als anderswo. Besuch in einer Bäckerei, die eine ganz besondere Beziehung zum Orient hat

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Foto: Lara Freiburger für DB MOBIL

Mein Handy klingelt, Onkel Eckhard ist dran: „Kathrin, es duftet, es geht wieder los.“ Sofort denke ich an den Geruch von Kardamom, Zimt, gemahlenen Haselnüssen und an den Geschmack von Zartbitterschokolade und Marzipan. Mit seinem Anruf beginnt meine Vorweihnachtszeit, er wohnt in Nürnberg, in besonderer Nachbarschaft: Zwei Häuser weiter wird im Hinterhof ein Kulturgut gebacken – die Nürnberger Elisenlebkuchen.

Wenn mein Onkel sich meldet, setze ich mich in den ICE und fahre nach Nürnberg. Für uns ist das eine schöne Tradition, bei der wir uns wiedersehen. Und wenn ich den braun gekachelten Verkaufsraum im Stadtteil Rennweg betrete, umfängt mich eine Duftwolke – es riecht warm, süßlich und würzig. In den Regalen stehen Tütchen mit Lebkuchen, an einer Wand viele Blechdosen mit Nürnberg-Motiven, die Touristen gern als Souvenir mitnehmen. In einem Hinterzimmer verpacken zwei Mitarbeiterinnen die Lebkuchen in Pakete, die aus der Nürnberger Mathildenstraße in die ganze Welt gehen – nach Chile, in die USA oder nach Südafrika.

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Liegt in der Mathildenstraße, duftet nach Elisenlebkuchen: die traditionsreiche Bäckerei Düll in Nürnberg
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Die handgeschriebenen Etiketten täuschen leicht darüber hinweg, dass Lebkuchen aus Nürnberg in alle Welt versandt wird

Dieses Jahr ist besonders, erstmals bin ich mit dem Herrn der Lebkuchen verabredet. Alexander Düll begrüßt mich, den Teig an seinen Händen wischt er an seiner Schürze ab. „Ich muss mir schnell etwas Sauberes anziehen. Wunsch meiner Mutter“, schmunzelt der 25-Jährige, der seit einem Jahr Geschäftsführer der Lebküchnerei Düll ist. In vierter Generation hat er sich den Elisenlebkuchen verschrieben.

Es ist immer Lebkuchenzeit.

Juniorchef Alexander Düll

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Alle von Hand gefertigt, bis zu 4000 Stück am Tag: Diese Lebkuchen sollen zu den besten gehören, die zu bekommen sind
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Bäckereichef Alexander Düll, 25, experimentiert gern, der gelernte Patissier erfand schon eine Rotweinglasur für seine Lebkuchen

Einst bekam der Urgroßvater das Rezept von seinem Meister geschenkt, 85 Jahre später hat die Familie es zur Perfektion gebracht – behaupten zumindest die meisten Nürnberger. Für sie sind Düll-Lebkuchen die besten. Ein Bundespräsident soll sie als Gastgeschenk mit auf Auslandsreisen genommen haben, die Wochenzeitung „Die Zeit“ wählte sie bei einer Verkostung auf Platz eins.  

Selbst im Frühling und Sommer backen Vater Holger Düll und Sohn Alexander 400 Stück in der Woche, neben Backwaren wie Brötchen und Croissants. „Lebkuchenzeit ist immer“, sagt der Junior. Im Herbst und Winter schaffen sie bis zu 4000 Lebkuchen – alles ist Handarbeit. 

In der Mitte muss der Teig etwa zwei Zentimeter dick sein, dann bleibt er nach dem Backen schön saftig.

Vater Holger, ein großer Mann mit kräftigen Händen, knetet den Lebkuchenteig mit einer überdimensionalen Küchenmaschine. Er verliert nicht viele Worte und lässt lieber seinen Sohn sprechen. Der redet, wie er backt: schnell und mit erkennbarer Freude. Er klatscht den Teig aus der Knetschüssel mit einer Kelle auf den Arbeitstisch und sticht mit einem Spatel die Menge ab, die er für einen Lebkuchen braucht. Streicht sie auf eine Oblate, die auf einer Art Mini-Töpferscheibe liegt. Gleichzeitig dreht er die Scheibe, sodass der Lebkuchen gleichmäßig wird.  

„In der Mitte muss der Teig etwa zwei Zentimeter dick sein, dann bleibt er nach dem Backen schön saftig“, sagt er, ohne aufzublicken. Zehn Minuten lang kommen die Lebkuchen bei 180 bis 200 Grad in den Ofen, sie trocknen einen Tag lang und werden mit feinster Schokolade glasiert. 

Das ist Mathias Stöbers Spezialgebiet. Der Bäcker hat bei den Dülls seine Ausbildung abgeschlossen und macht seither in der Weihnachtszeit nichts anderes: Er steht an einer Arbeitsfläche, eingekeilt von zwei Wägen mit Blechen voller Lebkuchen. Man kann kaum folgen, so schnell taucht er diese beidhändig in einen Topf flüssiger Schokolade. Stöbers Hände sind mit der Masse bedeckt, er misst die exakte Temperatur nicht mit einem Thermometer, sondern mit der flachen Hand.  

„Nur wenn die Schokolade genau 33 Grad warm ist, wird die Glasur schön glänzend und nicht schlierig-grau“, sagt er. In der Weihnachtszeit beugt er sich so stundenlang über den Schokoladentopf. „Am Abend tut mir schon manchmal der Rücken weh“, sagt der groß gewachsene 28-Jährige. „Außerdem kann ich nichts Süßes mehr sehen und mache mir gerne ein Wurstbrot.“ 

Foto: Lara Freiburger für DB MOBIL
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Der Elisenlebkuchen: Der Legende nach erfand ihn ein Bäckermeister für seine Tochter Elisabeth. Er enthält höchstens 10 Prozent Mehl – und viele Gewürze

Wie er bleiben die meisten der Bäckerlehrlinge im Betrieb, wenn sie ihre Lehre abgeschlossen haben. Immer wieder sind auch Geflüchtete aus Gambia, Bangladesch oder Syrien darunter. Als Christine Düll, Alexanders Mutter, das Elend der Flüchtlinge an den europäischen Grenzen sah, wollte sie gern selbst etwas tun. Viele Worte will sie darüber nicht verlieren, es sei doch selbstverständlich, dass man hilft. Als sie mich in ihr Büro bittet, erzählt sie nach einiger Zeit doch. Zu wichtig sind ihr ihre Schützlinge – viele ausgerechnet von dort, woher die Gewürze stammen. Düll hilft bei Behördengängen, der Vorbereitung auf die Berufsschule, sucht Wohnungen. „Was mich glücklich macht: Wenn uns die jungen Männer nach vielen Jahren besuchen, vielleicht mit ihrer Familie kommen und von ihrem Leben erzählen.“  

Sana Sao aus Gambia hat so eine Geschichte: Jede Nacht fuhr er 30 Kilometer mit dem Fahrrad, um rechtzeitig um drei Uhr in der Backstube zu stehen, und mittags wieder zurück. Heute arbeitet er als Koch in einem Nürnberger Gastronomiebetrieb. „Natürlich gibt es auch Misserfolge – dann muss man positiv in die Zukunft schauen“, sagt Christine Düll, die gelernte Steuerfachangestellte ist, durch die Liebe zu den Lebkuchen kam und heute alles außerhalb der Backstube managt.  

Zum Beispiel baut sie den Webshop aus. Der Digitalisierung verdankt die Lebküchnerei ihr Fortbestehen in Corona-Zeiten: Als der Nürnberger Weihnachtsmarkt abgesagt wurde, keine Touristen mehr in die Stadt kamen und auch die fünf Weihnachtsbuden in der Stadt täglich nur wenige Stunden öffnen durften, brach das Lebkuchengeschäft ein, einige Bäcker und Verkäufer:innen mussten in Kurzarbeit geschickt werden. Manche Rohstoffe verteuerten sich um 300 Prozent, Mehlmühlen in der Umgebung mussten schließen, Zutaten lokal zu bekommen wurde immer schwieriger.  

Doch über das Internet wurde mehr geordert als sonst. „Die Leute bestellten sich ein bisschen Weihnachtsgefühl nach Hause.“ Christine Düll bekommt feuchte Augen, wenn sie an die Zeit denkt. „Uns erreichten rührende Briefe aus aller Welt, in denen sich die Menschen bedankten, dass wir noch immer für sie da waren.“ 

Klar macht die Tradition auch manches umständlich. Als vor Monaten neue Backöfen geliefert werden sollten, war es in dem Gewirr aus Treppen und Gängen so eng, dass zwei Firmen abwinkten: unmöglich, die Öfen an ihre Plätze zu bugsieren. Erst das dritte Unternehmen schaffte es in stundenlanger Millimeterarbeit, die sperrigen Metallkästen durch die Gänge in die Backstube zu schieben. Gern würden die Dülls expandieren, ins Umland ziehen, weil die Räume zu klein sind. Doch dann dürften die traditionellen Kuchen nicht mehr den Zusatz Nürnberger tragen. „Mit ihren Leebkugn und ihren Broatwörscht verstehen die Nürnberger keinen Spaß“, sagt die Fränkin Düll. 

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Mit den Jahren wurde der Teig weniger süß, auch beim Schokoladenguss versuchen wir, neue Trends zu kreieren.

Kein Wunder bei der Geschichte! Als im Mittelalter die Route der Handlungsreisenden an Nürnberg vorbeiführte, zahlten diese ihren Zoll mit Gewürzen. Unmengen Kardamom, Zimt, Nüsse und Muskat lagerten in den Kellern. So fingen die Leute an, die wertvollen Aromen aus dem Orient in den braunen Kuchen zu verbacken. Angeblich waren die so länger haltbar – und hatten heilende Wirkung.  

Auch heute sollen die Lebkuchen so schmecken wie damals, ohne Schnickschnack. Trotzdem wollen die Leute mal was Neues. Also experimentiert Alexander Düll, gelernter Patissier und Teilnehmer an den deutschen Meisterschaften. „Mit den Jahren wurde der Teig weniger süß, auch beim Schokoladenguss versuchen wir, neue Trends zu kreieren.“

Neben den klassischen Sorten Zartbitter, Vollmilch, weiße Schokolade, Zuckerguss gibt es Lebkuchen mit Cappuccino und Rotwein. „Einige Kunden haben uns anfangs ausgelacht. Inzwischen kaufen sie die neuen Sorten aber auch mal.“ Im Sommer, wenn es ruhiger ist, kommt die Familie zusammen und probiert, in diesem Jahr Schokolade mit Limette und Pfeffer. Passte aber nicht: Die Aromen gingen entweder in dem kräftigen Lebkuchenteig unter oder harmonierten nicht. So ist in diesem Jahr alles beim Alten geblieben. Umso mehr freut sich Düll junior, wenn die Weihnachtszeit vorüber ist und er Zeit hat für etwas anderes als Lebkuchen. Für neue Kreationen oder etwas Filigranes – eine Hochzeitstorte zum Beispiel.

Schlemmer-Tipps für Nürnberg

  • Lebkuchen der Bäckerei Düll sind an verschiedenen Orten der Stadt erhältlich, Übersicht auf  lebkuchen-nuernberg.com
  • Zwei Michelin-Sterne, fast ausschließlich Gemüse und gemütlich eng: essigbraetlein.de
  • Urig, die typischen kleinen Würste vom Holzofengrill: bratwursthaeuslenuernberg.de
  • Im Museumslokal Tinto gibt’s abends Tapas, nach Besichtigung der ersten deutschen Lokomotive, des „Adlers“: dbmuseum.de

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