Kölsche Kost

Schunkeln, prosten, gastlich sein, dafür steht Köln. Aber hat die Stadt gastronomisch mehr zu bieten als obergäriges Bier und ulkig benannte Kultgerichte? Ävver secher! Aromen aus aller Herren Länder sind hier heimisch ­geworden. Ein kulinarischer Stadtrundgang

Von:
Lesezeit: 7 Minuten
Rustikaler Brauhaustisch mit Produkten des Hauses
Victoria Jung für DB Mobil
Ketchup, Bier, Wurst: Wird im Brauhaus Johann Schäfer alles selbst hergestellt

Wer schon mal zu Besuch in Köln war, weiß: Die Kölner:innen, und zu denen zählt sich der Autor, sind offen und lebenslustig. Wir feiern den Karneval und den „Effzeh“ und trinken dazu ein süffiges Kölsch. Unzählige Brauhäuser brauen es – und servieren dazu Gerichte wie „Halver Hahn“ oder „Himmel un Ääd“. Wir halten das für Kultur, viele Gäste eher für Folklore.

So kann es also passieren, dass wir Kölner:innen selbst eine kleine Revolution übersehen, die durch unsere Restaurants und Gaststätten zieht. Man munkelt nun nämlich öfter, die Gastroszene habe sich Einflüssen von jenseits der Stadtgrenzen geöffnet. Genau dafür suche ich nun Belege. Doch keine Sorge, bei meinem kulinarischen Stadtrundgang prüfe ich stets: Fühlt es sich noch kölsch an? Dann mal los!

Victoria Jung für DB Mobil
So kennt man Köln: Dom, Rhein und Rheinbrücke …
Victoria Jung für DB Mobil
… so kennt man’s weniger: Sauerampfer-­Sorbet im Sternerestaurant Neobiota
Victoria Jung für DB Mobil
Das Severinstor begrenzt die Kölner Südstadt

Morgens: Kaffee und Pancakes
Um eine Sache klarzustellen: Wir trinken Kölsch nicht gleich nach dem Aufstehen. Ein kräftiger Kaffee am Morgen, das entspricht unserem Naturell. Auch wenn in Köln das erste Café schon 1715 eröffnet haben soll: Berühmte Kaffeehäuser, in denen seit je Literat:innen und Gelehrte verkehren, sucht man vergebens. Kaffee ist hier eher Grundversorgung. Umso erstaunlicher, dass ein zweifacher deutscher Röstmeister in Köln beheimatet ist: Benjamin Pozsgai öffnet mir lächelnd die Tür zu seinem „Benson Badass Coffee“. Von außen ein unscheinbares Mehrfamilienhaus, doch der Duft strömt bis auf die Straße. Pozsgai ist gelernter Schreiner, aber die Arbeit habe ihm nicht gefallen, sagt der 45-Jährige. Für Kaffee interessiere er sich hingegen schon lange. Nach zehn Jahren Mitarbeit in anderen Röstereien gründete er vor zwei Jahren selbst eine. „Ich wollte meinen eigenen Kaffee kreieren“, sagt er, als er seine dunkle Schürze zurechtzupft und an der großen Siebträger-Kaffeemaschine zischend einen Cappuccino zubereitet. Der erste Schluck schmeckt weich und nussig, mehr nach Schokolade als nach Kaffee.

Victoria Jung für DB Mobil
Der Deutscher Röstmeister Benjamin Pozsgai bietet Bohnen sowie frisch gekochten Kaffee im Benson Badass Coffee an

Wenn es in Köln nach Tradition duften soll, muss man zu Schamong, Kölns ältester Rösterei, seit 1949. Bereits von der Straße aus höre ich das Rascheln und Knistern der Bohnen. „Anfang der Neunziger, als mein Onkel das Geschäft führte, war Kaffee einfach nur Kaffee“, sagt Mirko Schamong, 42, Geschäftsführer in dritter Generation. „Heute hingegen kaufen die Menschen mehr Bohnen als damals. Sie wollen guten Geschmack.“ Den schafft Schamong Kaffee mit einem Trommelröstverfahren aus den 1960er-Jahren: 16 bis 22 Minuten bei 180 bis 220 Grad Celsius. Zum Vergleich: Industriekaffee röstet wenige Minuten bei etwa 600 Grad. „Durch das langsame Verfahren werden Säuren abgebaut, und das naturgegebene Aroma wird herausgestellt“, erklärt Schamong.

Wer die kölsche Geselligkeit kennt, ahnt: Brunchen müsste uns liegen. Bis in den Mittag hinein sitzen, „müffele und mümpfele“ (schlemmen und schmausen). Dafür soll es genau das richtige Restaurant geben: das Neobiota in der Ehrenstraße, einer beliebten Einkaufsmeile. Doch als mich die Betreiber:innen Sonja Baumann, 38, und Erik Scheffler, 36, empfangen, stutze ich kurz. „Brunch ist tot“, bei beiden lugt das als Tätowierung unter weißen Shirts hervor.

Sie klären mich auf: Dieser Spruch ist das Motto ihrer Küche – und nicht ganz ernst gemeint. Im Neobiota, seit 2019 mit einem Michelin-Stern dekoriert, servieren sie Abendessen und, wie sie es nennen, „frühes Lunch“: „Hotels und Restaurants bereiten beim Brunch oft Essensreste vom Vorabend zu. Wir hingegen kreieren frische Gerichte, die sowohl Frühstück als auch Mittagessen sein könnten“, erklärt Scheffler. Auf klassisches Spiegelei, Speck oder Marmeladenbrötchen muss man verzichten, dafür gibt es Leckerbissen wie Pancakes, Sommerbircher und Armer Jan (eine Art French Toast). Scheffler sagt: „Wir kochen mit Geschmackskompositionen, die viele Gäste noch nicht kennen.“

Allein der Anblick der Pancakes zeigt das: hoch wie Muffins, fluffig wie Waffeln, dazu Aprikosenkompott, Estragoncreme, Pistazien und Streusel. In anderen Gerichten tauchen Zutaten wie Buchenkernsprossen, eingelegte unreife Erdbeeren, Erdbeerblattöl und Waldmeistersud auf. Ich schlage nach, was der Name ihres Lokals bedeutet. Als „Neobiota“ bezeichnet man in der Biologie solche Arten, die sich in einem Gebiet etabliert haben, in dem sie zuvor nicht heimisch waren. Sehr treffend auch für die Kölner. Gastroszene.

Victoria Jung für DB Mobil
Sonja Baumann kocht seit 2019 im Neobiota, kürzlich wurde ihr Können mit einem Michelin-Stern garniert
Victoria Jung für DB Mobil
Ein "frühes Lunch" aus Baumanns Küche: Pancakes hoch wie Muffins, fluffig wie Waffeln, dazu Aprikosenkompott, Estragoncreme, Pistazien und Streusel

Mittags: Flönz und Pils
Überaus heimisch sind die Klassiker der hiesigen Brauhäuser. Flönz beispielsweise meint eine dicke Blutwurst, die auf einem Brötchen serviert wird. Der „Halve Hahn“ ist ein Röggelchen (Brötchen) mit einer dicken Scheibe Gouda. Und jetzt das: Das viel gelobte Brauhaus Johann Schäfer wagt es, statt Kölsch ein helles Pils zu brauen.

„Kölsch brauen, das wäre zu naheliegend gewesen. Wir wollten etwas Neues ausprobieren“, sagt Thomas Borninkhof, 44, einer der Geschäftsführer. Mit Baseballcap, Vollbart, Karohemd und offenem Lachen widerspricht er dem Image eines hiesigen Köbes (kölsch für Kellner), dem eine gewisse Muffigkeit nachgesagt wird.

Kölsche Spezialitäten würden hier in neuer Form zubereitet, erklärt Till Riekenbrauk, 36, zweiter Geschäftsführer. „Wir verwenden regionale Produkte und kochen handwerklich.“ Zum Beispiel stellen sie Ketchup und Bratwurst selbst her. Vegetarier:innen servieren sie geschmorten Blumenkohl mit veganer Bratensoße.

Das Brauhaus liegt in einer ehemaligen Halle des Spediteurs Johann Schäfer. Wo früher Autos und Lastwagen repariert und Kisten zwischengelagert wurden, stehen Tische und Stühle zwischen rotbraunen Backsteinwänden. Eine Theke trennt den Schankraum von der Küche. Den Kölner:innen schmeckt es, fast immer ist das Johann Schäfer ausgebucht.

Und wer unbedingt frisch gebrautes Kölsch trinken möchte: In der umliegenden Südstadt sind zahlreiche andere Restaurants und Kneipen. Es gibt Touren, die durch die urigsten Brauhäuser führen.

Victoria Jung für DB Mobil
Thomas Borninkhof im Brauhaus Johann Schäfer zapft, Achtung, Pils
Victoria Jung für DB Mobil
Nicht nur zu Karneval einen Sprung über den Rhein wert: Das „Lommi“ im Stadtteil Deutz gilt als eine Kölsch-Institution. Ein paar Speisen stehen auch auf der Karte.

Abends: Mezze und Miso
Ich habe mich also behutsam aus der kölschen Komfortzone bewegt, jetzt gehe ich, wörtlich, ein paar Schritte weiter die Straße runter: zum Restaurant Pottkind.

Ruhrgebiet trifft auf Rheinland: Als die Köche Enrico Sablotny und Lukas Winkelmann vor mehr als zehn Jahren nach Köln kamen, waren sie von der Lockerheit der Menschen angetan. Fast wie zu Hause, fanden sie. Das Restaurant haben die heute 35-Jährigen 2018 eröffnet, seit 2021 sind sie mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet.

Der Abend bei uns soll wie ein gutes Essen bei engen Freunden verlaufen

Lukas Winkelmann, Pottkind

Ihr Konzept: hochwertige, unprätentiöse Küche. „Uns ist wichtig, dass es Nähe zwischen Küche und Gast gibt. Daher kochen wir vor dem Gast, nur getrennt von einer Theke“, sagt Küchenchef Sablotny. Winkelmann ergänzt, mit Dortmunder Zungenschlag: „Der Abend bei uns soll wie ein gutes Essen bei engen Freunden verlaufen.“ Jedes Gericht besteht aus nicht mehr als fünf Komponenten. Die herzliche Schnörkellosigkeit passt gut in die Südstadt. Enge Gassen, alte Bäume, schlichte Fassaden.

Victoria Jung für DB Mobil
Sternekoch Enrico ­Sablotny und Lukas Winkelmann stammen aus Dortmund

Ich bin bereit, den kölschen Kosmos zu erweitern. Böse Zungen lästern: Für gutes japanisches Essen müssen Kölner:innen nach Düsseldorf. Doch mitnichten! Auf der anderen Rheinseite, in Kalk, versteckt sich in einer ruhigen Straße das Nobiko. Zwar gibt es in Köln mehrere Sushi-Restaurants, aber keinen traditionellen Japaner – erst recht keinen, der nach Studentenkneipe aussieht. Poster mit Slogans hängen an der Wand, die Holzstühle und -tische sehen aus, als wären sie von Wohngemeinschaften in der Nachbarschaft gespendet.

Jeden Morgen ab acht Uhr stellen die Mitarbeiter:innen in Handarbeit Nudeln her. Bis zu vier Stunden lang kneten und pressen sie den Teig. „Wir haben uns die Handwerkskunst in Japan von heimischen Meistern zeigen lassen und die Rezepte veganisiert“, sagt Markus Mentrup, 38. Vor rund zehn Jahren startete er mit Bekannten an gleicher Stelle ein Café, in dem er ab und an Abendessen mit japanischen Spe­zialitäten anbot. „Das vegane Essen kam so gut an, dass wir aus dem Café ein Restaurant gemacht haben.“

Victoria Jung für DB Mobil
Im Nobiko entstehen jeden Morgen japanische Nudeln in Handarbeit

So wie Mentrup hat auch Julia Komp eine kulinarische Nische besetzt: den Orient. Anfang 2022 eröffnete sie als damals jüngste Sterneköchin Deutschlands die Yulia Mezze Bar. Mezze sind traditionelle Vorspeisenteller, die sich Gäste an ihrem Tisch teilen. Orientalische Deko ziert die Wände, der Raum ist in Braun-Gold gehalten. Es riecht nach Gewürzen, und man möchte sich vorstellen, dass das Hupen und Palavern draußen vom wuseligen Treiben eines Marktes in Marokko oder Tunesien rührt.

Der Gast soll mit uns auf eine kulinarische Reise gehen

Julia Komp, Yulia Mezze Bar

Komps akkurat geflochtener Zopf und die saubere, schwarze Schürze zeigen, wofür die 33-Jährige steht: Perfektion und Liebe zum Detail. Sie stammt aus dem Bergischen Land bei Köln und wollte immer ein eigenes Restaurant besitzen, sagt sie, am liebsten in der Region.

Die Ideen für ihre Kreationen holt sie sich aus der Ferne, unter anderem bei Familienurlauben im Orient. Sie serviert „authentisches“ Essen aus verschiedenen Ländern, wie Hummus, Baba Ganoush, Pastilla oder Cigara Börek. Authentisch heißt: zwar edel präsentiert, aber nicht stark verändert. „Der Gast soll mit uns auf eine kulinarische Reise gehen.“ Spezielle Gewürze besorgen sie oder Freund:innen aus Tunesien und Marokko.

Victoria Jung für DB Mobil
Spitzenköchin Julia Komp
Victoria Jung für DB Mobil
tischt Garnelen und Krebse auf
Victoria Jung für DB Mobil
So tafelt man bei Komp

Während ich noch in die Kochtöpfe in Komps Küche schaue, fühle ich mich so gut aufgehoben wie selten in der Stadt meines Herzens. Wir Kölner:innen halten uns seit je für weltoffen und modern, traditionell und wertebewusst. Kann man jetzt auch schmecken.

Erschienen in DB MOBIL Ausgabe November 2022

Schreiben Sie uns!

Der Artikel hat Ihnen gefallen, Sie haben eine Frage an die Autorin/den Autor, Kritik oder eine Idee, worüber wir einmal berichten sollten? Wir freuen uns über Ihre Nachricht.