Die extremsten Deutschen

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Sie kraxeln im Schneesturm auf die höchsten Berge der Welt, balancieren akrobatisch über Schluchten und tauchen mit einem einzigen Atemzug unter Grönland-Gletscher. Extrem? Nicht für diese Ausnahmesportler:innen. Grenzerfahrungen zu machen ist ihr Alltag. Und ihre Sehnsucht, auf ihre Art die letzten, kaum berührten Orte des Planeten zu erforschen, lässt sie immer wieder über sich selbst hinauswachsen. Hier erzählen sie, was sie antreibt, wie sie dabei auch Ängste überwinden und was das Adrenalin mit ihnen macht

Downhill

Man müsse sein Rad „virtuos beherrschen“, um auch in steilem Gelände große Sprünge machen zu können, sagt Steffi Marth. „Aber das trauen einige uns Frauen nicht zu – sie unterschätzen uns.“ Als sie erste Rennen gewann, sei das teilweise als unbedeutend abgetan worden, weil vergleichsweise wenig Frauen antraten. Das ärgert Marth. Gewinnen sei nie leicht. Inzwischen absolviert sie nur noch wenige Wettkämpfe, fährt lieber an Orten, die sie herausfordern. Ihr Highlight: mit dem Mountainbike auf der Chinesischen Mauer zu fahren.

Zweimal Weltmeisterin, sechsmal Deutsche Meisterin in Fourcross und Downhill ist Steffi Marth (36). Die Athletin reist mit ihrem Rad um die Welt, nach Sölden genauso wie Hawaii. Ihr Tipp: „Die Grundtechnik erstmal im Flachland üben.“

Eisklettern

„Ich glaube, ich hätte bei keiner anderen Sportart so viel Angst – deshalb reizt sie mich. Ich kann daran am meisten wachsen. Letzten Winter habe ich mich am Everest im Dunkeln an einer Eiswand verstiegen. Ich wusste nicht mehr, wo ich war. Ich hing über einer Gletscherspalte, die man nur an einer einzigen, etwa 30 Zentimeter breiten Stelle überqueren kann – alles andere ist ein tiefes Nichts. Was, wenn ich ausrutsche? Meine Furcht hatte einen Effekt wie starker Kaffee – sie sorgte dafür, dass ich die Stelle mehrere Stunden konzentriert suchte und schließlich auch fand. Die Angst ist wie ein Freund, der mit unterwegs ist. Den Gipfel habe ich auf meinen Winterexpeditionen noch nicht erreicht. Aber ich werde es weiter versuchen.“

Den Mount Everest im Winter bezwingen, solo und ohne Extra-Sauerstoff, das will Jost Kobusch (29) als erster Mensch schaffen. Den ersten Versuch startete er vor zwei Jahren, sein zweiter scheiterte im Februar.

Schwimmen

„Ich will erspüren, was mir die See zu sagen hat. Ich schwimme manchmal bis zu 19 Stunden im offenen Ozean – nur in Badehose, daher bekomme ich alles hautnah mit: Strömungen, Temperaturunterschiede, Müll. Das Wasser lehrt mich, Widrigkeiten zu akzeptieren. Du kannst dich gegen die Wellen wehren oder mit ihnen schwimmen. Aber Verschmutzung und Überfischung nehme ich nicht hin. Dort draußen umschlingen mich Plastikplanen, giftige Quallen vermehren sich, weil ihre Fressfeinde fehlen. Ich will dem Ozean eine Stimme geben. Viele betrachten das Meer als schöne Kulisse für den Urlaub und zur Entspannung. Doch es ist ein gigantischer Lebensraum von dem unser Überleben abhängt.“

Als erster Deutscher durchquerte André Wiersig (49) die sieben schwierigsten Meerengen der Welt, und er ist UN-Meeresbotschafter. Wenn er nicht gerade schwimmt, arbeitet der gebürtige Bochumer in einem IT-Unternehmen. In seinem neuen Buch setzt er sich mit folgender Frage auseinander: Helgoland – kann man da hinschwimmen? Spoiler: In einer Augustnacht 2021 hat er es ausprobiert.

Seiltanz

Was schwindelerregend aussieht, zieht Alexander Schulz magisch an: Er geht auf einem schmalen Band, der Slackline, Hunderte Meter über dem Boden. Mal zwischen Hochhaustürmen wie in Mexico City, mal über einem Vulkan im Südpazifik. „Am Anfang hat man mit der Angst zu kämpfen, fühlt sich schutzlos ausgesetzt“, sagt Schulz, „irgendwann erlebt man dann ein unbeschreibliches Gefühl völliger Freiheit.“ Was ihn zu immer neuen Rekorden antreibt? „Ich will dort übers Seil gehen, wo noch nie jemand gelaufen ist.“

Wenn er über Abgründen schwebt, purzeln Rekorde: Alexander Schulz (30) lief die längste Slackline über Boden und Wasser und überquerte als Erster einen Vulkan. Höhenrausch gefällig? Schulz gibt Slacklining-Kurse. Mehr Infos über den Slackliner gibt es unter: oneinchdreams.com

EISTAUCHEN

„Es ist wie ein Ausflug ins Weltall. Als Kind hat mich das Unbekannte fasziniert, ich wollte zum Mars fliegen oder mit einem U-Boot das Meer erkunden. Tauchen war leichter umzusetzen. Die Ozeane sind tatsächlich weniger erforscht als der Mond, der Meeresgrund ist gewissermaßen weiter weg als das Weltall. Apnoetauchen unter Eis, wie in Grönland, ist enorm fordernd. Die Luft ist minus 20 Grad kalt, Wind braust einem um die Ohren, ich muss stundenlang auf dem Eis herumstapfen und dann hinab in das eisige Wasser. Aber wenn man sich dem aussetzt, kann man einmalige Orte entdecken. Ich bin kein Adrenalinjunkie, im Gegenteil, Apnoetauchen braucht Ruhe. Mit einem Atemzug komme ich 100 Meter tief. Natürlich begegne ich auch Tieren. In Norwegen schwamm einmal ein riesiges Orca-Männchen schnurgerade auf mich zu. Es umkreiste mich und tastete mich mit seinem Echolot ab. Ich fühlte, wie es in der Brust vibrierte – wie Bässe in einem Klub. Währenddessen zog die Herde mit den Kälbern vorbei.“

Ihre Lunge ist um ein Viertel kleiner als normal, trotzdem hat Anna von Boetticher (51) 34 deutsche Rekorde im Apnoetauchen aufgestellt. Für die Bundeswehr bildet sie Kampfschwimmer:innen aus.

Springen

Iris Schmidbauer zählt im Kopf bis drei. Blickt auf die Brandung 20 Meter unter sich, atmet durch, spannt den Bauch an. Springt. In Saltos wirbelt sie durch die Luft, bis sie mit Tempo 80 ins Wasser eintaucht. „Dann fühle ich mich, als hätte ich Superkräfte“, sagt sie. Obwohl sie seit 2014 von Klippen springt, hat sie noch immer ein „flaues Gefühl“, wenn sie oben steht. In der Nacht vor einem Wettkampf schläft sie schlecht. Ihre größte Angst: die Kontrolle zu verlieren. Zwar laufe der Sprung „relativ automatisch“ ab, trotzdem müsse sie darauf achten, wie sie sich bewegt. „Es ist ein Balanceakt. Wenn ich es überdenke, funktioniert es nicht.“ Es geht um Perfektion, bewertet von einer Jury. Schmidbauer will die beste Klippenspringerin der Welt werden. Dafür feilt sie 30 Stunden pro Woche an ihrer Kür. Noch ist die Disziplin nicht olympisch, daher erhält sie keinerlei finanzielle Unterstützung. „Die Frage ist, wann und ob ich dabei sein kann, in diesem Sport Geschichte zu schreiben.“

Die beste deutsche Klippenspringerin Iris Schmidbauer (26) stürzt sich am liebsten auf den Azoren in die Tiefe. Sie empfiehlt, sich mit Turmspringen an die Höhe heranzutasten. Wer auf die Klippen will: „Nie allein!“

Triathlon

„Die Idee, in Triathlons um die Welt zu reisen, kam mir, als ich 2019 die Sahara per Rad durchquerte. Ich dachte, dass ich im Sattel nun alles erlebt habe, und wollte raus aus der Komfortzone. Im Jahr darauf zog ich los. Die Kunst, große Distanzen zu bewältigen, besteht darin, sich kleine Ziele zu setzen. Und man muss sie klar vor Augen haben, selbst wenn sie noch fern sind. Dort sollte etwas Schönes warten: Ich denke von Schokoriegel zu Schokoriegel.“

Auf 120 Triathlons in 430 Tagen umrundete Jonas Deichmann (34) 2020/21 die Erde.
Zuvor hatte er in der Klimakammer der DB Systemtechnik getestet, wie sein Rad Extremwetter trotzt. Als Radsportler hält er mehrere Ultra-Langstreckenrekorde.

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